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Texte - Christian Frosch
Jan Thorn-Prikker - Auf der Suche nach der verlorenen Malerei (zurück)

"...denn wenn man nur einen Schwamm
voll verschiedenerlei Farben gegen die Wand wirft,
so hinterläßt dieser einen Fleck auf der Mauer,
in dem man eine schöne Landschaft erblickt.
Es ist wohl wahr, daß man in einem solchen Fleck
mancherlei Erfindungen sieht, d.h. ich sage,
wenn sie einer darin sehen will....! "
(Leonardo da Vinci)

„Zur Selbstverständlichkeit wurde, dass nichts, was die Kunst betrifft, mehr selbstverständlich ist, weder in ihr noch in ihrem Verhältnis zum Ganzen, nicht einmal ihr Existenzrecht.“ Mit diesem Satz lässt T.W. Adorno 1969 seine „Ästhetische Theorie“ beginnen. Er hält eine unangenehme Tatsache fest, die jeder, der sich je mit zeitgenössischer Kunst beschäftigt hat, aus eigener Erfahrung kennt. Sicher ist in Sachen der Kunst nur die Unsicherheit. Auf die Frage: Kann man so arbeiten? Darf man das machen? Ist das haltbar? – gibt es keine klaren Antworten.

Es gab viele Gründe im 20. Jahrhundert den Pinsel aus der Hand zu legen und jeglicher Kunst zu mißtrauen. Wie sollte die Kunst auf Weltkriege und epochale Diktaturen angemessen reagieren? Wie sollte sie bei soviel Avantgarden der Sackgasse der Wiederholungen entkommen? Die Wirklichkeit überfordert die Kunst mindestens ebenso sehr, wie die Kunst ihr Publikum überfordert. Was zuviel ist, ist zuviel. Ein Karussell sich immer rascher drehender Kunstmoden erledigte zusammen mit einer umfassenden Kommerzialisierung den Rest. Trotzig ohne die Sicherheit eines Stils oder die Garantie eines tragfähigen Themas weiter zu arbeiten, erscheint geradezu als die Aufgabe des zeitgenössischen Künstlers. Die Kunst will immer wieder neu erfunden werden.

Natürlich hat sich kein echter Künstler von der niederschmetternden Diagnose ab-halten lassen. In der Kunst zumindest gibt es ein Weiterleben nach dem Tod (der Kunst). Es ist Ausdruck der existentiellen Vitalität der Kunst, dass sie es bislang noch immer verstanden hat, ihre Todeserklärungen zu überleben. Nie konnte mehr festgestellt werden, als ein sehr vitaler Scheintod, der durch jedes neue Kunstwerk widerlegt wird.

Selbstverständlich ist aber auch, dass das Reden über die Unmöglichkeit der Kunst an keinem Künstler spurlos vorbei geht. "Wenn Sie mich fragen, was Kunst ist, kann ich es Ihnen nicht sagen. Wenn Sie mich nicht fragen, weiß ich es sofort." – soll Malewitsch gesagt haben. Es ist einfach störend, in einem Milieu voller Zweifel leben und arbeiten zu müssen. Vermutlich wird die Kraft eines Künstlers heute nicht zuletzt auch daran gemessen, wie er mit den Zweifeln an der Kunst umgeht.

Christian Frosch hat den Ausweg des permanenten Experiments gewählt. Seit meh-reren Jahren betreibt er etwas, was er „Malereiforschung“ nennt. Begonnen hat er mit eigentümlichen Untersuchungen von Pinseln und Keilrahmen. Pinsel wurden aufgeschnitten, als gäbe es in ihrem Inneren irgendwelche Geheimnisse zu entdecken. Auf Nadeln aufgespießt und in Schaukästen ausgestellt, präsentiert er die vorläufigen Befunde seiner Untersuchungen wie medizinische Präparate. Seine Experimente ließen Keilrahmen aus bloßen Hintergrundelementen zu eigenständigen Bildobjekten werden. Die Rahmen traten dabei selber als die Kunst auf, die sie eigentlich tragen sollten. Umwege zur Malerei ersetzten die Malerei.

Vor den eigentlichen Malakt hat der Künstler die verblüffendsten Untersuchungen der Malinstrumente gesetzt. „Testreihen“ und immer neue „Versuchsanordnungen“ stehen im Mittelpunkt seiner Arbeit. Spielerisch kopiert er dabei die Präzision naturwissenschaftlicher Verfahren, um zu „objektiven“ Aussagen über die Kunst zu kommen. Bei sog. „Farbtests“ wurden Farbproben verschiedener Herstellerfirmen zwischen Glasscheiben gepreßt und konserviert. Farben wurden so vergleichbar. Die Unterschiede waren verblüffend. Kein Zinnoberrot gleicht dem anderen. Kein Preußischblau strahlt wie ein zweites, etc. Die Ausstrahlung einer Farbe war hier auf ihren chemischen Kern gebracht und ging doch offensichtlich in diesem Rest nicht auf.

Jetzt zeigt er Ergebnisse, die während eines zweimonatigen Studienaufenthaltes in der Villa Romana in Florenz entstanden sind. Noch einmal hat er mit einer Methode gearbeitet, die er schon in der Serie seiner „Farbabstriche“ erprobt hatte. Täglich zur gleichen Stunde hat Christian Frosch während seines Florenzaufenthaltes identische Farbmengen mit jeweils wechselnden Postkarten der Kunststadt, die ihm als Farbspachtel dienten, zunächst auf Glasplatten verteilt und anschließend über die Papierträger verschoben. In seinen Arbeitsabläufen achtete er auf genaue Wiederholungen des immer gleichen Vorgangs. Dabei ging es nicht um die Farbspur auf der Platte, sondern um die Restmenge auf den Postkarten und auf den Papierträgern.

Das Farbmaterial und seine Trägersubstanzen trennten sich in der Berührung mit dem Papier. Erstaunlich poetische Bilderfunde waren die Folge des lakonisch künstlerischen Tuns. Fantastische Produkte eines künstlerischen Handelns, das sich die Fantasie geradezu vorsätzlich verboten hatte. Obwohl diese Arbeiten konsequent konzeptuell und vollständig abstrakt sind, wirken die Resultate geradezu romantisch bildhaft. Die Ergebnisse dieses pseudowissenschaftlichen Tuns lassen an zarteste Naturzeichnungen oder Landschaftsbilder denken.

Auf diesem Weg ist eine ganz und gar eigenwillige Dokumentation seines Arbeits-aufenthaltes entstanden, der aber jegliche biografische-dokumentarische Dimension fehlt. Das Tagebuch seines Florenzaufenthaltes ist Ausdruck einer beharrlichen Suche nach der verlorenen Malerei. Das unpersönliche Tun hat den Charakter eines persönliches Bekenntnisses: es ist vor allem ein trotziges Beharren auf der Kunst .

Die Papiere haben dem Künstler die Arbeit abgenommen. Ohne dessen Zweifel, ohne jegliches Zögern und ohne Frage haben diese Blätter einfach eine ästhetische Präsenz. Alle Blätter ähneln sich. Aber keines ist mit einem zweiten identisch. Alle zusammen zeugen sie von der Leidenschaft dieses Malers, der sich das Malen versagt. Diese Materialzitate sind malerisch, ohne doch wirklich das Ergebnis von Malerei zu sein.

Und so seltsam es scheinen mag, allein die Idee zu diesem Versuch, der sich doch jegliche Handschrift untersagt, reichte, um den Ergebnissen eine erstaunlich deutliche Handschrift zu verleihen. Unzweifelbar ist hier ein Künstler auf dem Weg zur Malerei. Mit der List der Vernunft - oder sollte man sagen mit der List der Unvernunft - hat er seine Sehnsucht nach Malerei gestillt.

Seine Kunst lebt von der Spannung zwischen dem Künstler und seinen Materialien. Sie entwickelt sich aus dem Zögern vor dem Malen, aus dem Zurückschrecken vor der Leinwand oder dem Blatt Papier. Seine Kunst ist eine sich langandauernde Annäherung an die Malerei, ohne dass es bis jetzt je wirklich zur malerischen Geste gekommen wäre. Es ist eine Kunst des Beinahe-Malens, sie entspringt einem „Trotzdem“.

Malereiforschung wie er sie betreibt, ist eine vielleicht absurde, in jedem Fall aber „fröhliche Wissenschaft“. Akademische Langeweile jedenfalls ist ihm fremd. Natürlich bewegt er sich in der Tradition der Konzeptkunst. In sein Tun mischt sich eine aus der Geschichte der Avantgarde reichende Spur Dada. Schwarzer Humor drückt sich hier in gelben Farbobjekten aus. Oder mit den Worten von Hans Arp: „Sinn ist Unsinn, Unsinn ist Sinn“

In den neuesten Arbeiten mit Farbeimern hat Christian Frosch seinen Ansatz noch einmal radikalisiert. Die Frage, wo ist das Bild? wird hier ganz und gar positivistisch beantwortet. Das Bild muß da sein, wo die Farbe ist. Da Farbe in Eimern geliefert wird, muß es müßte es eigentlich dort zu finden sein. Sein Gedanke folgt einer Logik, die sich Karl Valentin ausgedacht haben könnte. Bernard Frize hatte wenigstens noch für nötig befunden, die getrockneten Häute seiner Farbeimer auf die Leinwand zu bringen. Um seine Kunst vorzustellen, zieht Christian Frosch einfach den Deckel der Farbtöpfe, wie andere Leute den Hut. Der Eimer besorgt den Rest. Wie Bernard Frize vertraut Christian Frosch seine Kunst dem Material selber an. Wenn die Farbe trocknet, entsteht das Bild (fast) ohne das Zutun des Künstlers. Er rührt keine Hand und überträgt nichts auf die Leinwand. Das ist eine ironische Wiederbelebung von Minimalismus und Arte Povera. Die Überführung des Ready Mades ins Gebiet der Malerei.

Als läge ein Tabu über der Kunst, versucht Christian Frosch die Quadratur des Krei-ses. Er betreibt die Fortsetzung der Malerei mit pseudowissenschaftlichen Mitteln aus dem Geist eines romantischen Glaubens an die Fortdauer der Kunst. Malerei ohne zu malen. Wenn die höheren Wesen, die Sigmar Polke einst zitierte, ihren Dienst verweigern, dann müssen die Materialien selber sprechen. Hier ist offensichtlich ein Künstler am Werk, der sich die Freude an der Kunst nicht nehmen läßt.

in Katalog: Christian Frosch, Malereiforschung aus der Villa Romana, 2004


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