Werke
Biografie

Texte - Christian Frosch
Jürgen Kisters - Der forschende Maler und die feinen Unterschiede (zurück)

„ ... denn welchen Grund gäbe es, nicht auf alles gefasst zu sein,
auch wenn nie etwas geschieht?“ (Wolf Wondratschek)

Der Moment ist längst gekommen, in dem die Kunst sich abkoppeln muss vom spektakulären Getöse der modernen Unterhaltungskultur. Allzu sehr hat die Kunst in den vergangenen Jahrzehnten mit der Auffassung geflirtet, ihre Bilder und Objekte sollten auf einen einzigen Blick erfasst werden und vor allem Spaß machen. So wird der Kunst in der perfekt organisierten Konsumkultur ein anderer Stellenwert zugewiesen als in Zeiten, in denen die künstlerischen Werke noch mitten im Garten der Bildung blühten. Doch die Bildung ist schon seit längerem in einem miserablen Zustand, unterdessen der Zeitgeist des „easy living“ und „anything goes“ über alles hinwegfegt, und auch die Kunst darüber den Boden unter den Füßen verloren hat. Während auch in der Kunst die großen Gesten, schrägen Ein-Fälle und unverbindlichen Spielereien die Szene beherrschen, finden die einstigen Nachdenklichkeiten inzwischen größtenteils im Unscheinbaren statt, klein und unspektakulär und auf den ersten Blick fast unzugänglich. In einem Farbklecks, zwischen zwei Glasplatten gepresst; und daneben weitere Glasplatten mit anderen Farbklecksen in der gleichen Farbe. Oder ein feiner Strich gelber Ölfarbe am unteren Rand eines Bogen weißen Papiers.

Kann ein einziger Farbklecks das Geheimnis der Malerei verkörpern? Oder trägt er lediglich zu ihrer (weiteren) Entzauberung bei? Ist ein dünner Ölfarbstrich ein in erster Linie emotionsloses Farbexperiment? Oder genügt tatsächlich eine einzige farbige, malerische Linie, um auf die Spur der Poesie zu geraten? Der Maler Christian Frosch legt sich weder auf das eine noch auf das andere fest. Er hat das Malen einst traditionell begonnen, in figürlich expressiver Tradition, beeindruckt von Francis Bacon zum Beispiel. Sehr bald schon ging er allerdings dazu über, statt Bilder zu malen die Keilrahmen zu zersägen und die losen Stücke mit Kunststoffgeweben zu „umrahmen“. Ein paar verzogene Keilrahmen mit schlecht aufgespannten Keilrahmen hatten ihn auf diese Möglichkeit gebracht. Immer wieder hat er solche „Unfälle“ genutzt und aus der „Abweichung“ ein künstlerisches Prinzip entwickelt.

Seit dieser Verwandlung des traditionellen Bildes zum malerischen Objekt kehrte Frosch der konventionellen Malerei den Rücken. Anstatt die verschiedenen Pinsel über die Leinwand zu streichen, arrangierte er sie, der Größe nach geordnet, als gegenständliches Bild. Und er hörte auf, die Farben aus den Tuben auf die Bildfläche zu drücken, um sie stattdessen wie die Objekte einer pathologischen Sammlung in Gläser zu „verbannen“. Dieser simple Kunstgriff genügt, um die Malerei „einzumachen“ und zugleich die seit Marcel Duchamp immer wieder gestellte Frage nach ihrem Ende aufzuwerfen. Doch um welche Malerei geht es? Die des fortgesetzten Experiments, beflügelt vom Verlangen nach der Irritation und Erweiterung unserer Wahrnehmung? Oder geht es um die Malerei existentieller Besinnung, getragen vom Atem der Stille, der Lautlosigkeit des Paradoxes und dem unsichtbaren Hauch des Todes, gemalt in Farben der Behutsamkeit und des Erschreckens? Und geht es möglicherweise um die Feststellung, ob das eine das andere unweigerlich ausschließt? Tötet der Geist des Experiments und der nüchternen Reflexion den Geist der Poesie, oder gibt es vielleicht eine Versöhnung von beiden?

Weil es im Schatten der modernen Konsumkultur keine malerischen Gewissheiten mehr gibt, wurde Christian Frosch fast zwangsläufig zum „malenden“ Forscher. „Ich male, weil ich nicht anders kann“, sagt er. Und: „Malen geschieht längst nicht mehr nur mit Pinsel und Farbe.“ Von Anfang an interessierte ihn die Frage: Was ist Malerei, und wo beginnt ein Objekt? Wie hängen Malerei und Objekt zusammen? Wann geht eines ins andere über, und wo ist es nicht mehr voneinander zu unterscheiden? Anstatt seine Farben in der Spur einer malerischen Selbstverständlichkeit wiederzufinden, ver-sucht er seine Farben in immer neuen „Experimenten“, von ihm selbst „Versuchsanordnungen“ genannt. Und obwohl er seit Jahren kein konventionelles Bild mehr gemalt hat, begreift er sich weiterhin als Maler. Er sucht, also malt er. Suchen und Malen sind für ihn untrennbar miteinander verwoben. Und während er beharrlich damit beschäftigt ist, für sich eine neue Form der Malerei zu er-finden, versucht er insgeheim, die Malerei für das 21.Jahrhundert zu entwickeln.

Große Geduld und spielerische Neu-Gier liegen Froschs Malereiforschungen ebenso sehr zugrunde wie eine stets wohlkalkulierte Versuchsanordnung. Die Präzision des Konzeptes ist ihm grundsätzlich wichtiger als die Schnelligkeit und die Quantität seiner „Produktion“. Die Schwierigkeit besteht darin, sich selbst von effektvollen Ein-Fällen nicht täuschen zu lassen. Was in seinen Bildwerken als fixe Idee und schneller gestalterischer Handgriff erscheint, hat sich tatsächlich in einem langsamen Prozess des Ver-Suchens und Auswählens herauskristallisiert. Nichts geschieht in seiner Kunst als rascher, leichter Wurf, sondern die Einfachheit seiner Werke sind das Resultat entschlossener Reduzierung, entstanden in einem lang dauernden „malerischen Testverfahren“ voller Umwege, Fransen, Verführungen und Irrtümer. (S)ein Konzept ist für den Künstler schließlich im Gleichgewicht, wenn seine sinnliche Präsenz und seine Herausforderung zum Nachdenken einander die Waage halten. Beides muss zwingend sein: eine zwingende Möglichkeit.

Ein einziger Farbfleck, aus dem Alltag aller Farben herausgelöst, ist von enormer Präsenz. Wie ein Biologe eine zu untersuchende Substanz auf einen Objektträger legt, um sie dann unter dem Mikroskop zu vergrößern, hat Christian Frosch in seinen sogenannten „Makros“ einen Farbklecks zwischen zwei Glasplatten gepresst. Das Ereignis ist eine einzige Farbe (als Punkt einer kraftvollen Konzentration) und ihre Ausbreitung zu einem Flecken (durch das Pressen mit der Glasplatte). Der Farbfleck als elementarer Ausdruck in der Erscheinung einer Farbe. Und der Druck auf die Glasplatte als ebenso elementarer Vorgang einer Bearbeitung. Verschiedene Flecken hat er so gepresst und zu einer Serie gemacht. Um die Fleckenform miteinander zu vergleichen. Und um den Ton der Farben miteinander zu vergleichen. Ihre Ähnlichkeit und ihre Unterschiede. Und um vor Augen zu führen, dass es grundsätzlich auf Nuancen ankommt.

So hat er das Weiß dreier Herstellerfirmen jeweils zwischen zwei Fensterglasscheiben gepresst, um unter gleichen Bedingungen (die) Unterschiede zum Ausdruck zu bringen: Farbabstufungen, unterschiedliche Ausbreitungen und Trocknungsspuren. Die Differenzierungen sind derart offensichtlich, dass der gewohnte Blick auf (die) Farbe unweigerlich analytischer wird. Zugleich bleibt die anschauliche Faszination eines einfachen, leuchtenden Farbpunktes, eine unerklärliche Bezauberung, die in jedem isolierten Farbpunkt steckt, selbst noch in einem unliebsamen Flecken auf der Kleidung oder einem Blatt Papier. Der Farbflecken als das eine, das sich in seiner eigenen Farbe von allem Ãœbrigen unübersehbar abgrenzt. Den gleichen Test hat Christian Frosch mit unterschiedlichen Farben durchgeführt: Primärgelb, Preußischblau, Cadmiumorange, Zinnoberrot. So bringt er nicht nur die Abstufungen innerhalb einer Farbe in einen Vergleich, sondern vergleicht darüber hinaus verschiedene Farben miteinander. Die malerische und die forschende Komponente sind darin ebenso unauflösbar miteinander verflochten wie das Wechselspiel aus (gedanklicher) Strenge und „purer“ Farblust.

Eine andere Versuchsreihe hat Christian Frosch „Abstriche“ genannt. Mit gelber Ölfarbe hat er jeweils eine einzige feine Schliere auf den unteren Rand eines Blattes Papier gesetzt. Ganz langsam ist das Öl aus der Farbe in das Papier gesogen und hat wie das nach einer Welle zurückweichende Meer am Strand seine Spur hinterlassen, ein feiner gelber „Film“, der nach oben hin immer heller wird. Der Versuch besteht aus so vielen Studien wie der Papierblock Blätter hat. Und jedes Blatt zeigt eine andere Verlaufsspur des Öls. Anders, aber ähnlich. Ähnlich, doch nicht gleich. Dasselbe Verfahren und immer ein anderes Ergebnis, das darin zugleich eine Bestätigung des Verfahrens ist. Immer das gleiche Ergebnis in seiner immer anderen Erscheinung. Doch um welches Ergebnis handelt es sich? Und ist es als künstlerisches Prinzip ebenso aussagekräftig wie die Färbung des Lackmus-Indikatorpapiers bei der Bestimmung einer Base oder Säure?

Demonstrieren die feinen Unterschiede der öligen Verlaufsspur die grundsätzlichen Nuancen der Einzigartigkeit? Oder hängen auch sie nur von allgemeinen Bedingungen ab: der Temperatur der Farbe, der Dicke des Auftrags einer Schliere, den unsichtbaren Abweichungen in der Dichte des 300 Gramm schweren Papiers? Unterliegen die feinen Nuancen des Ölverlaufs im Papier einem unausweichlichen Gesetz oder dem Zufall möglicherweise? Mit kleinen Stecknadeln befestigt Frosch die kleinen Bilder nebeneinander, und die ganze Serie schafft so eine Phantasie der Wiederholung, die nichts anderes besagt, als dass jede Wiederholung tatsächlich immer eine kleine Nuance beinhaltet. Man steigt nie zwei Male in den gleichen Fluss, sagte der Philosoph. Und man malt nie zweimal das gleiche Bild, selbst wenn man es darauf anlegt. Man schaut nicht einmal zwei Male auf das gleiche Bild. Kein Augen-Blick gleicht dem anderen, weil man sich selbst in keinem Augen-Blick gleicht, obwohl oder gerade weil man der gleiche geblieben ist.

Im Lichte dieser Ab-Striche erscheinen Begriffe wie Verwandlung und Individualität in einer anderen Be-Deutung als sie zur Zeit in aller Munde sind. Sie gestalten sich weniger spektakulär, aber dafür allgemeingültiger, weniger programmatisch, doch um so grundsätzlicher. Während das modische Gesetz der modernen Konsum- und Mediengesellschaft die Individualität in bunten Extremen und plakativen Wechselspielen proklamiert und die Veränderung wie eine Heilsbotschaft inszeniert, zeigt Christian Frosch mit wenigen Farbpunkten und zahlreichen Ab-Strichen, dass die Menschen alle mehr oder weniger gleich sind, indem keiner dem anderen gleicht. Mitten in seinen scheinbar so „neutralen“ künstlerischen Forschungen wird plötzlich der (einzelne) Mensch sichtbar. Man entdeckt sich selber in einem Farbfleck, erkennt sich wieder in der Ölfarbschliere.

In der Tat besteht Christian Frosch darauf, dass nicht die Geschichte der Kunst, sondern die höchstpersönliche Lebenserfahrung der Bezugspunkt seiner künstlerischen Arbeit darstellt. Dementsprechend überflüssig ist es, seiner erweiterten Malerei mit kunsthistorischen Einordnungen beikommen zu wollen. Besser man schaut auf die spielerische Neu-Gier, mit denen Kinder oder Forscher die Welt erkunden und wird sich bewusst, dass die materialen Prozesse unserer Wirklichkeit ge-wichtigere Erfahrungen sichtbar machen als all unsere ausgetüftelten Glaubenssysteme. So ist Christian Froschs künstlerische Arbeit auch eine Art Rückkehr zu der konzentrierten Einfachheit, mit der Kinder noch fähig sind, das Gewicht der Welt zu er-kennen. Er selbst sagt, dass die Klarheit, die er in seiner Kunst sucht, untrennbar ist von der Klarheit, die er für sein Leben sucht. Immer mehr gelingt es ihm auf diesem Wege, seine Bildwerke auf immer weniger Einzelheit zu fokussieren.

Je schlichter und ruhiger Bilder werden, desto stärker positionieren sie sich gegen die pausenlos bewegten Bilder, die allerorten die Kultur beherrschen, lautet die simple Einsicht. Selbstverständlich kann sich eine solche Haltung auf die Position künstlerischer Avantgardisten ebenso berufen wie auf das breit gestreute Erfahrungsfeld malerischer Spezialisten, die sich im weiten Feld der Kunst besonders abheben durch ihr Beharren auf ein streng abgestecktes Konzept. Christian Froschs malerisches Außenseitertum besteht allerdings gerade in der Ãœberwindung dieser Positionen. Er will seine Arbeit nicht an ein bestimmtes Prinzip und an keinen Stil binden. Ãœberhaupt ist das Gerede von Stil, Strategien und unverwechselbaren Markenzeichen eine Falle, in die moderne Kultur hineingeraten ist, auch in der Kunst. „Macht es so: alles bleibt dasselbe, und alles ändert sich. Was in der Welt ist, ist gegensätzlich,“ schrieb die Malerin Agnes Martin in einem ihrer legendären, doch wenig bekannten Texte. Dem ist nichts hinzuzufügen.


Köln-Höhenhaus,
im Januar 2oo2


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